Chronobiologie und Chronopharmakologie
Muntermacher Mittagsschlaf
Die Verbindung alter Weisheit mit neuer Wissenschaft
Nur Kinder, Rentner, Hunde und Katzen dürfen mittags schlafen. Für alle anderen ist der Mittagsschlaf verpönt, geradezu ein Tabu. Dabei stärkt er nachweislich Gesundheit und Leistungsfähigkeit.
„Folge, wenn der Schlaf dich ruft.“ Dieser alte Spruch wird gern zitiert, aber belächelt. Dumm, denn wer die Botschaften seines Körpers ignoriert, der kann früher oder später die innere Balance nicht mehr herstellen und wird krank. Leider müssen viele diese Botschaften ignorieren, denn sie arbeiten in einer Firma mit festen Pausenzeiten.
Dabei zeigen Ergebnisse aus Schlaflabors eindeutig: Ein Nickerchen zwischendurch macht leistungsfähiger und verbessert die Konzentration. Die Messkurven der Gehirnströme, die bei Testpersonen gemessen wurden, sanken regelmäßig im 4-Stunden-Takt ab, mittags am stärksten. Die Wellenmuster zeigten Tiefs gegen 9, 13 und 17 Uhr. Personen, die sich dann eine kleine Pause gönnten, waren am Nachmittag leistungsfähiger und konzentrierter als die anderen.
Da diese Ergebnisse unabhängig sind von der Länge der vorherigen Nachtruhe, von leichtem oder schwerem Mittagessen und von der Kenntnis der Uhrzeit (Leute verbrachten Wochen im dunklen Schlaflabor ohne Uhr), kommen Schlafforscher zu der Aussage: Der 4-Stunden-Takt ist uns mitgegeben, speziell das Mittagstief. Selbst die uns stammesgeschichtlich verwandten Schimpansen schlafen mittags gern, aber auch Hunde, Pferde, Katzen und allerlei Getier.
Obwohl auch nachgewiesen wurde, dass sich das Unfallrisiko am Nachmittag durch ein Mittagsschläfchen senken lässt (Air-France-Personal), konnten Arbeitswissenschaftler deutsche Führungskräfte nicht überzeugen, die Pausenregelung zu ändern.
In deutschen Unternehmen gibt es keine Ruheräume, aber in japanischen werden verdunkelte Relax-Center angeboten. „Die Produktivität dieser Firmen liegt über dem Durchschnitt“, schreibt Pierre Fluchaire (Professor an der Pariser Universität Ecole Centrale) in seinem Buch „The Sleep Revolution“. Und weiter: „Eine Stunde Schlaf am Tag ist so wertvoll wie zwei in der Nacht.“
Rhythmuswesen Mensch
Seit 2 000 Jahren sind die medizinisch relevanten Tagesrhythmen bekannt, seit über 200 Jahren werden sie wissenschaftlich beschrieben, aber erst seit 20 Jahren sammeln Mediziner endlich Daten über das „Rhythmuswesen Mensch“. Mit erstaunlichen Ergebnissen und Konsequenzen.
Wenn die Seerosen ihre Blüten schließen, ist es 17 Uhr und Zeit zum Fünf-Uhr-Tee. Carl von Linne´ (1707 – 1778) konnte das an seiner Blumenuhr ablesen. Der Professor für Botanik und Medizin hatte als erster Pflanzen im Kreis angepflanzt und konnte von früh um 7 Uhr, wenn sich die Samtblume öffnete, bis 18 Uhr, wenn sich die Ackerwinde schloss, die genaue Tageszeit erkennen.
Diese innere Uhr der Pflanzen für den Tagesrhythmus kann auch durch plötzliche Veränderungen nicht beeinflusst werden. So testete der französische Astronom De Mairans 1729, ob Pflanzen im dunklen Zimmer bei immer gleicher Temperatur, ebenfalls ihren Rhythmus beibehalten. Es war so, und damit war eine neue Wissenschaft geboren: Die Chronobiologie.
Sind Lebensabläufe bei Pflanzen, Tieren und Menschen zeitabhängig? Sind sie rhythmisch, zyklisch und vererbt, also vorbestimmt? Nun, die Wissenschaft hat das inzwischen eindeutig mit „Ja“ beantwortet. Jetzt befassen sich Biologen, Mediziner und Arbeitswissenschaftler mit dem Problem, wie diese Rhythmen in unsere heutigen gesellschaftlichen Anforderungen passen.
Der Rhythmus-Infarkt
Die explosionsartige Zunahme moderner Leiden in den Industriestaaten (z. B. Herz-Kreislauferkrankungen oder Krebs) führen Experten auf einen Grund zurück: Der Organismus ist aus dem Rhythmus gekommen.
„Die zunehmende Ent-Rhythmisierung unseres Daseins macht immer mehr Menschen krank und orientierungslos“, so die Diagnose von Zeitforscher Karlheinz A. Geißler aus München. Dabei besteht das Problem darin, dass fremde, unnatürliche Rhythmen aus gesellschaftlichen Gründen so übergestülpt werden, dass sowohl den Lebewesen, als auch der Arbeitswelt der Kollaps, ein Infarkt droht. Rhythmisch passt da nichts mehr zusammen. Wären die Beteiligten Mitglieder eines Orchesters, niemand könnte mehr zuhören.
Nach neuesten biomedizinischen Studien sind auseinanderlaufende und gegeneinander wirkende Rhythmen nicht nur eine Begleiterscheinung, sondern wohl eine Ursache von Krankheit überhaupt. Offenbar gibt es keinen Vorgang in Lebewesen, der nicht der kosmischen Oszillation unterliegt, die sich aus der Anpassung an die natürlichen Zeitprogramme des Universums entwickelt hat.

Sonne, Mond und Sterne
„Ihr sollt wissen, dass im Menschen Sonne und Mond und alle Planeten sind“. Diese These des Naturmediziners Paracelsus ist weder verquere Mystik aus dem Mittelalter, noch Astrologie, sondern zeigt ein ganzheitliches Menschenbild, das die Ergebnisse moderner Chronobiologie bereits verinnerlicht hatte. Seine wissenschaftliche und praktische Arbeit war die konsequente Fortsetzung der festen Überzeugung seiner Vorfahren.
Schon Azteken, Griechen, Germanen und Ägypter haben dem „Sonnengott“ gehuldigt und sich als Teil einer größeren Ordnung gesehen. Deshalb wurde der ägyptische Sonnengott Re – der Weltenlenker – immer von seiner Tochter Ma’at begleitet. Von ihr „lebten“ alle anderen Götter und alle Menschen. Sie war Symbol für den kosmischen Lebensprozess, die kosmische Harmonie. Im Gold sahen die Ägypter die Sonne verewigt, deshalb der hohe ideelle und finanzielle Wert des Metalls.
„Nicht nur der Mensch ist an das Universum, auch das Universum ist an den Menschen angepasst“, so beschreibt heute der amerikanische Astrophysiker John Wheeler das, was Paracelsus schon im 16. Jahrhundert öffentlich vertrat. Speziell in dem Bezug zwischen Sonne und Mensch offenbart sich eine geheimnisvolle Ur-Harmonie.
Sonnenlicht passt perfekt zu uns. Da stimmt im wahrsten Sinne des Wortes die Chemie. Mit unseren Augen nehmen wir genau die Wellenlängen des von der Sonne gesendeten Lichtes wahr, die als Zeitgeber für unsere innere Uhr wirken. Goethe beschrieb das so: „Wäre das Auge nicht sonnenhaft, könnte es die Sonne nicht erblicken.“
Alle Zellen unseres Körpers reagieren auf die Reizungen der Lichtteilchen bis hin in den Bereich von 1. 000 Hertz. Da sie gleichzeitig auch innere Taktgeber besitzen, folgen sie so dem Sonnenrhythmus eines 24-Stunden-Tages. Heute, wo wir durch die Biophysik viel über Photonen wissen, sie messen und nachweisen können, verbindet sich nun endlich neue Wissenschaft mit alter Weisheit und bestätigt die Intuition von Paracelsus: „In diesem Kosmos hängt alles, was überall geschieht, irgendwie miteinander zusammen.“
Medikamente zur richtigen Zeit
Die chinesische Heilkunde richtet sich an den 12 Meridianen aus. In 24 Stunden werden für je 2 Stunden bestimmte Organ- und Kreislaufsysteme besonders intensiv von „Lebensenergie“ durchströmt.
Die Einnahme von Medikamenten sollte etwas vor der Maximalzeit des Meridians erfolgen, damit die Wirkstoffe rechtzeitig angekommen.
Die Organ-Zeiten
- 6 bis 8 Uhr – Dickdarm-Meridian
- 8 bis 10 Uhr – Magen-Meridian
- 10 bis 12 Uhr – Milz-Pankreas-Meridian
- 12 bis 14 Uhr – Herz-Meridian
- 14 bis 16 Uhr – Dünndarm-Meridian
- 16 bis 18 Uhr – Blasen-Meridian
- 18 bis 20 Uhr – Nieren-Meridian
- 20 bis 22 Uhr – Kreislauf-Meridian
- 22 bis 24 Uhr – Erwärmer-Meridian
- 0 bis 2 Uhr – Gallenblasen-Meridian
- 2 bis 4 Uhr – Leber-Meridian
- 4 bis 6 Uhr – Lungen-Meridian
Nutzen Sie Ihre Tagesstärken
So läuft der Biorhythmus am Tag
7 Uhr Weckstunde
Der „innere Wecker“ klingelt. Der Stoffwechsel erwacht und die Konzentration von Aminosäuren (Eiweiß) und Blutzucker (Glucose) im Blut steigt. Verstärkt werden auch Hormone wie Adrenalin und Noradrenalin ausgeschüttet und sorgen für Antrieb.
8 Uhr Sexstunde
Jetzt haben Männer den höchsten Testosteronspiegel und viel Lust auf Sex. Ausgerechnet am Tagestiefstpunkt gegen 23 Uhr wird er dann aber meistens eingeplant. Günstig um 8 Uhr wäre auch ein gutes Frühstück, denn jetzt werden Kohlenhydrate in Energie umgesetzt und nicht wie am Abend in Fett. Ganz ungünstig ist ein „Sektfrühstück“. Alkohol wird um diese Zeit zu 100 Prozent in Blutalkohol umgesetzt und meistens ist der Tag denn gelaufen.
9 Uhr Herzstunde
Herzattacken ereignen sich dreimal häufiger als zum Beispiel am späten Abend. Eine Erklärung könnte der biologische „Notfallmechanismus“ sein. Traumphasen in der vorangegangenen Nacht belasten den Organismus. Unsere Nerven deuten eine Gefahr und das Blut wird dicker. In Ur-Zeiten bedeutete Gefahr auch immer eine Verletzung. Zum Schutz verdickte sich das Blut, damit Wunden schneller heilen. Eine gute Vorbeugung vor Infarkt und Thrombosen scheint der Mittagsschlaf zu sein. Studien haben gezeigt, dass „Mittagsschläfer“ um 30 Prozent seltener einen Infarkt erleiden als Leute, die kein Nickerchen am Mittag machen.
10 Uhr Planungsstunde
Jetzt arbeitet das Kurzzeitgedächtnis auf Hochtouren. Jetzt sammeln und speichern wir Informationen schnell und setzen Aktivitäten effizienter um als abends. Im Langzeitgedächtnis bleibt allerdings nicht viel hängen. Seine beste Zeit ist erst am Nachmittag gegen 15 Uhr.
11 Uhr Tageshoch
Konzentration und Kreativität sind in Tages-Bestform. Um diese Zeit hat der Körper ein geistiges und körperliches Fitness-Hoch.
12 Uhr Hungerstunde
Die Mittagszeit ist einer der vier Termine am Tag, an dem der Magensäurespiegel ansteigt. Der Körper erwartet jetzt Nahrung. Wer das regelmäßig ignoriert, muss mit Stoffwechselstörungen rechnen. Auch jetzt werden Kohlenhydrate noch in Energie umgesetzt und nicht wie am Abend in Fett.
13 Uhr Mittagssenke
Um rund 20 Prozent sinkt die Leistungsfähigkeit. Die Leber produziert weniger Glykogen, den Antriebsstoff für die Muskeln. Auch geistige Fähigkeiten reduzieren sich. Die Durchblutung konzentriert sich auf den Bauch und bewältigt die Verdauung, auch nach „nur“ einem Salatteller.
14 Uhr Mittagsschlaf
Ein Naturbedürfnis ist das Nickerchen am Mittag. Dabei bringt die Zeit des Schlafens oder geistig und körperlichen Abtauchens am Mittag mehr Effekt als die gleiche Zeit nachts länger geschlafen.
15 Uhr Zweites Leistungshoch
Jetzt arbeitet das Langzeitgedächtnis besonders gut. Alle Arbeiten, die Geschicklichkeit und Geschwindigkeit erfordern, gehen jetzt gut von der Hand. Nachmittags ist unsere Schmerzempfindlichkeit geringer als vormittags. Eine gute Zeit für den Zahnarztbesuch.
16 Uhr Erholungsstunde
Im Organismus übernimmt der beruhigende Parasympatikus die Führung. Monotone Arbeiten können gut erledigt werden. Allerdings steigt auch die Unfallgefahr, weil wir langsamer reagieren.
17 Uhr Sinnesstunde
Alle Sinnesorgane sind besonders sensibel. Wir hören, riechen und schmecken jetzt am besten. Die Vesper oder der „Fünf-Uhr-Tee“ ist eine weise Tradition. Gesundheitsfördernde Tees wirken jetzt am besten, weil Niere und Blase voll aktiv sind und die „Körperreinigung“ erfolgreich abläuft.
18 Uhr „Blaue Stunde“
Die Dämmerstunde verändert die Gefühlslage. Der Wechsel von Tag zur Nacht macht viele sentimental. Eine Untersuchung an der Universität Ferrara zeigte, dass zwischen 17 und 18 Uhr die meisten Selbstmordversuche stattfinden.
19 Uhr Entspannungsstunde
Blutdruck und Puls sind abgesunken. Mediziner warnen sogar davor, jetzt noch blutdrucksenkende Mittel einzunehmen. Auf Streit und Stress reagiert das Herz jetzt nur noch mit einer Erhöhung seiner Schlagzahl um 25 Prozent (mittags mit 35 Prozent). Alkohol wird um das Fünffache besser vertragen als am Morgen.
20 Uhr Reaktionszeit
Unsere Reaktionszeit ist jetzt am kürzesten. Eine günstige Zeit, um Auto zu fahren.
21 Uhr Nachtruhe für Morgenmenschen
Die Nachtruhe der Verdauung beginnt. Alles, was später noch gegessen wird, liegt unverdaut in Magen oder Darm und kann zu schädlichen Gärung- und Fäulnisprozessen führen. Schnelles Einschlafen und erholsamen Schlaf finden jetzt alle Morgenmenschen. Für sie ist die innere Bereitschaft für den Nachtschlaf zwischen 21 und 22 Uhr am größten. Nachtmenschen finden erst ab 24 Uhr in ihren seligen Schlaf.
22 Uhr Wachstumszeit
„Wer wachsen will, braucht den Vormitternachtsschlaf“ – ein Spruch vieler Elterngenerationen. Und er stimmt! Kinder wachsen in Schüben und am schnellsten um 22 Uhr.
23 Uhr Nachtruhe
Für Normalschläfer tritt die erholsame Tiefschlafphase jetzt ein, das haben Untersuchungen in Schlaflabors eindeutig gezeigt. Wer den berühmten „Schönheitsschlaf“ haben möchte, schläft jetzt.
24 Uhr Schreckstunde
In der „Geisterstunde“ sind wir besonders schreckhaft und fühlen uns schutz- und wehrlos. Experten vergleichen diesen Zustand mit der vorgeburtlichen Situation. Wir haben die aufrechte Haltung aufgegeben, liegen zusammengerollt und warm im Bett. In der Dunkelheit kommen Erinnerungen aus dem Unterbewusstsein über uns. Unser Verstand tritt zurück, Gefühle gewinnen die Oberhand. Die meisten Menschen sterben nach Mitternacht.
1 Uhr Traumstunde
Tiefschlafphasen wechseln mit Traumphasen, egal ob wir uns am Morgen daran erinnern oder nicht.
2 Uhr Haut- und Leberstunde
Die Haut regeneriert sich jetzt und bis 5 Uhr früh besonders schnell. Wir sind kälteempfindlich und frösteln. Die Leber baut besonders viele Betriebsstoffe für den Körper auf.
3 Uhr Mini-Energie-Stunde
Der Energieverbrauch des Körpers ist auf ein Minimum gedrosselt. Diese Spareinstellung erlaubt die optimale Auffüllung der Energiespeicher. In dieser Phase regeneriert sich der Körper und macht sich fit für neue Herausforderungen. Die Leber baut Alkohol verstärkt ab.
4 Uhr Wendestunde
Der Stoffwechsel schaltet um. Der Parasympatikus, der am Abend die Führung hatte, übergibt diese an den Sympatikusteil des vegetativen Nervensystems.
5 Uhr Geburtsstunde
Alle Organe sind gut durchblutet, die Körpertemperatur steigt. Der Körper wird wieder auf Leistung vorbereitet. Zwischen 5 und 6 Uhr werden die meisten Babys geboren. Das hat die Natur scheinbar so eingerichtet, damit der Nachwuchs noch im Schutz der Nacht zur Welt kommt.
6 Uhr Immunstunde
Erst jetzt steigt die Konzentration von entzündungshemmendem Cortisol wieder an. In der Nacht wurde nur wenig produziert. Jetzt macht sich der Körper immun für den Tag.
Achten Sie auf Ihren Biorhythmus, wann immer es die gesellschaftlichen Zwänge erlauben. Achten Sie bei der Einnahme von Medikamenten auf die Organ-Zeiten.
Bei der Uhrzeit orientieren Sie sich an der bei uns üblichen Winterzeit, denn auf diese alte „Zeitrechnung“ beziehen sich die Erkenntnisse und Erfahrungen. „Einer jeden Sache ist ihre Zeit bestimmt“ (Buch Salomon, 900 v. Chr.)
Artikel von Karin Springefeld
Leseprobe aus dem Buch: „Meine Gesundheit und ich“ – erscheint im US creativ Verlag